05.März 2025
Haftung der Lotsen in Deutschland
Haftung der Lotsen in Deutschland
1. Berufsrisiken des See- und Hafenlotsen
Die Berufstätigkeit der Lotsen ist – auch bei sorgfältiger Reisevorbereitung und konzentrierter Beratung – mit Havarierisiken belastet, die nicht vorhersehbar und letztlich auch nicht beherrschbar sind. Die Vorhaltung eines leistungsfähigen Seelotswesens ist hoheitliche Aufgabe des Staates. Sie dient der Sicherung des Seeverkehrs, vor allem also den Passagier- und Ladungsströmen von und nach den deutschen Seehäfen. Der Lotse ist der entscheidende personale Faktor in diesem System. Er ist gesetzlich verpflichtet, jedes Schiff anzunehmen, welches einen Lotsen anfordert (§ 8 Abs. 1 Allgemeine Lotsordnung). Ob es sich dabei um ein funktionsfähiges Fahrzeug mit einer geeigneten Besatzung handelt, wird er erst später erfahren. Seine Dienstantrittspflicht gilt bei allen Wetter- und Verkehrslagen (Sturm- und Starkwindverhältnissen, Nebellagen, dichten Verkehrsverhältnissen und beengten Manöverräumen).
Die zu beratenden Schiffe stellen – bei laufend zunehmenden Schiffsgrößen – schwer zu kontrollierende Objekte dar. Der Lotse hat innerhalb von Sekunden weit vorausgreifende Einzelentscheidungen zu treffen. Diese vorausschauende Beratung bringt es mich sich, bestimmte Manöver früh einzuleiten, um die erheblichen Trägheitsmassen des Schiffes mit bestimmten Bewegungsparametern, Kursen, Geschwindigkeiten, Rate of Turn etc. auf eine exakt vorgegebene Position zu bringen. Die Wirkung dieser Manöver tritt mit erheblicher Verzögerung ein und muss aufgrund subjektiver Mitwirkungsfaktoren (Brückenkommunikation, nautisch und sprachlich richtiges Verständnis und Umsetzung der Lotsenempfehlungen, Manövereigenschaften und veränderliche Verkehrslagen) ständig hinterfragt und im Bedarfsfall korrigiert werden. Gleichzeitig sind alle zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (Schraube, Steigung, Ruder, Querstrahlruder und Anker) einzubeziehen. Welches Manöver hierfür wann angesetzt wird, ist deutlich im Voraus zu entscheiden, wobei Strom, Wind und schlechte Sicht zusätzlichen Einfluss nehmen. Bei Empfehlung der notwendigen Manöverentscheidung kann der Lotse nur auf seine persönliche Erfahrung, sein Wissen und sein Training zurückgreifen. Bei dieser Entscheidung gibt es keine rechnergestützte Vorausberechnung, die seine Entscheidung unterstützen, geschweige denn ersetzen könnte. Trotz hoher Qualifikation des Lotsen und aller Erfahrung, täglicher Praxis und ständiger Fort- und Weiterbildung kann der menschliche Faktor bei den Manöverempfehlungen nicht ausgeschlossen werden.
Die bestehende Risikolage verschärft sich vor dem Hintergrund, dass die deutsche Transport- und Hafenwirtschaft erwartet, dass die Schifffahrt bei allen Wetter- und Sichtverhältnissen abgefertigt wird. Der Lotse steht hierbei – wie eingangs erwähnt – unter der gesetzlichen Verpflichtung, jedes Schiff zu beraten.
2. Haftungslage
Die deutschen Seelotsen (und auch die Hamburger und Bremerhavener Hafenlotsen) haften gemäß § 21 Abs. 3 SeeLG (bzw. entsprechenden Landesbestimmungen) für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. Diese Haftungserleichterung ist im Jahre 1984 vom deutschen Gesetzgeber eingeführt worden. Hierbei ist bemerkenswert, dass zum damaligen Zeitpunkt noch keine Haftbarhaltungen deutscher Lotsen bekannt geworden waren. Die Haftungserleichterung des § 21 Abs. 3 SeeLG gilt aufgrund der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes auch für die deutschen Binnenlotsen.
Die ursprünglich vorausschauend geplante Haftungserleichterung des § 21 Abs. 3 SeeLG ist aufgrund der Entwicklungen in den letzten 40 Jahren überholt. Sie ist im nationalen und internationalen Rechtsvergleich eine klare Benachteiligung der deutschen See- und Hafenlotsen. Sie führt zu Haftungsrisiken im Verbund mit den unabwendbaren Havarierisiken, die die deutschen Lotsen nicht länger tragen können. Dies zeigt insbesondere die zunehmende Anzahl von Haftbarhaltungen deutscher Lotsen (dazu unten Ziff.4).
3. Die Haftung der Lotsen im internationalen und nationalen Vergleich
(1) Im Hinblick auf die besonderen Berufsrisiken haben die meisten schifffahrttreibenden Nationen ihre See- und Hafenlotsen von einer zivilrechtlichen Haftung befreit oder sie in einer Weise eingeschränkt, dass existenzgefährdende Risiken ausgeschlossen sind.
a) Folgende Länder schließen die zivilrechtliche Haftung des Lotsen grundsätzlich aus: Victoria (Australien), Queensland (Australien) und Ägypten.
b) Folgende Länder beschränken die Haftung des Lotsen de facto auf Vorsatz oder vorsatzgleiches Handeln: Niederlande, Frankreich, Finnland. Die Grenzziehung wird hierbei verschiedenen internationalen Konventionen (London Convention 1976/96, Straßburger Übereinkommen 1988, Warschauer Übereinkommen 1955 u.a.) entnommen. Danach haftet der Lotse nur wenn er „leichtfertig handelt und in dem Bewusstsein, dass der Schaden wahrscheinlich eintreten wird“.
c) Andere Länder beschränken die Haftung auf eine moderate Höchsthaftungssumme auch im Falle grobfahrlässigen Handelns: Belgien (EUR 25.000), Frankreich (EUR 10.000), wobei in Frankreich die unbeschränkte Haftung nur bei kriminellem Vorsatz greift.
d) lm angloamerikanischen Rechtssystem wird die Haftung der Lotsen – unabhängig vom Fahrlässigkeitsgrad – überwiegend beschränkt auf ,,pro forma“ Haftungssummen, die im Zweifel von dem Lotsen selbst aufgebracht werden können und einem Haftungsausschluss nahekommen: Großbritannien (GBP 1.000). Kanada (CAD 1.000), verschiedene Bundesstaaten der USA (zwischen USD 1.000 und 5.000), Hongkong (HKD 1.000), Western Australia (AUD 200), Jamaika (umgerechnet EUR 670), Trinidad und Tobago (umgerechnet USD 620), Slowenien (SDR 6.666). Eine deutliche Schlechterstellung der deutschen Seelotsen gegenüber ihren Berufskollegen in den anderen namhaften Schifffahrtsnationen ist damit offensichtlich.
(2) Auch im nationalen Vergleich ist festzustellen, dass die deutschen Binnenlotsen sich gegenüber den Seelotsen erheblich besser stehen. Gemäß § 5i BinSchG ist die Haftung des deutschen Binnenlotsen beschränkt auf SDR 200.000 bei Sachschäden und SDR 400.000 bei Personenschäden, sofern er nicht „leichtfertig handelt und in dem Bewusstsein, dass der Schaden wahrscheinlich eintreten wird“. Die deutschen See- und Hafenlotsen können demgegenüber allenfalls die Beschränkungsmöglichkeiten der Londoner Konvention für sich geltend machen: Hier liegt die Haftungsbeschränkung jedoch um ein Achtfaches höher als bei den Binnenlotsen, nämlich: SDR 1,5 Mio. bei Sachschäden und SDR 3 Mio. bei Personenschäden. Es liegt auf der Hand, dass die vorgenannten Haftungsbeschränkungen für See- und Binnenlotsen rein akademischer Natur sind. Es macht keinen Unterschied, ob ein Lotse mit einer Forderung von EUR 200.000 oder EUR 2.000.000 in die Privatinsolvenz gezwungen wird.
4. Zunahme der Haftbarhaltungen in Deutschland
(1) Seit Inkrafttreten des Seelotsgesetzes 1954 bis zu seiner Novellierung im Jahre 1984 (mit der § 21 Abs. 3 SeeLG eingeführt wurde) hat es Haftbarhaltungen von Lotsen nicht gegeben bis zum Jahre 2000. Dies hat sich tendenziell wenig geändert bis 2003. Seither jedoch sind die Haftbarhaltungen deutscher See- und Hafenlotsen deutlich angestiegen, und zwar insbesondere noch einmal seit dem Jahr 2011. Im Jahre 2011 gab es drei Haftbarhaltungen von Seelotsen (davon eine im siebenstelligen Bereich). Im Jahre 2012 gab es zwei Haftbarhaltungen. Im Jahre 2013 gab es fünf Haftbarhaltungen, davon drei im siebenstelligen Bereich.
Seit 2014 liegt die durchschnittliche Anzahl der Haftbarhaltungen pro Jahr bei circa sechs, dh. in den letzten 10 Jahren wird jeden zweiten Monat ein Lotse in Deutschland haftbar gehalten. Diese Haftbarhaltungen liegen regelmäßig im sechs- bis siebenstelligen EURO Bereich.
Bei diesen Größenordnungen ist klar, dass eine ausreichende Haftpflichtversicherung nicht eingedeckt werden kann.
(2) Diese Entwicklung in Deutschland ist weltweit einzigartig. Eine ähnliche Zunahme von Haftbarhaltungen gegenüber Lotsen ist allenfalls nur für einige Bundesstaaten der USA zu verzeichnen. In den skandinavischen Staaten sind Haftbarhaltungen ebenso wenig bekannt wie in England, Frankreich, Holland und Belgien. In Finnland hat es früher Haftbarhaltungen von Lotsen wiederholt gegeben. Hierauf allerdings hat der finnische Staat reagiert mit dem Finnish Pilotage Act vom 1. Januar 2011. Durch Sec. 4 FPA ist die Haftung der dortigen Lotsen praktisch ausgeschlossen.
5. Fazit
Die deutschen See- und Hafenlotsen sind weltweit einem ungleichen und de facto unvergleichbaren Haftungsrisiko ausgesetzt. Die damit verbundene Gefährdung durch Haftungsrisiken erreicht existenzgefährdende Ausmaße. Auf die Auswirkungen für die deutsche Lotsenschaft, insbesondere auch die psychische Belastung des Lotsen durch die in Deutschland eingetretene Regresspraxis, kann nicht deutlich genug hingewiesen werden.
Die einzige Erklärung für die singuläre Entwicklung in Deutschland liegt darin, dass die Haftungsbeschränkungen (oder gar Freizeichnungen) hierzulande gegenüber dem Ausland deutlich zurückstehen. Dies begründet nunmehr dringlichen Handlungsbedarf auch für den deutschen Gesetzgeber. Es ist unerlässlich, dass es zu einer eindeutigen Haftungserleichterung des § 21 Abs. 3 SeeLG kommt.
*Der Autor ist Rechtsanwalt und Partner der Seerechtskanzlei Clyde & Co Hamburg.
Zusatz: Ein Beitrag von Dr. Eckehard Volz, erschienen im Logbuch 01_2025 des Deutschen Nautischen Vereins